«Die Kleinkunst lebt vom Persönlichen»
Die Schutzmassnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie stellen auch die regionalen Kulturveranstalter vor grosse Herausforderungen.
Nach dem ersten Lockdown konnten im Sommer die Veranstaltungen teilweise wieder durchgeführt werden. Nun, mit dem Veranstaltungsverbot vom 11. Dezember, bricht die Kulturbranche ein zweites Mal ein. Zwar gelten Museen und Galerien nicht als Veranstaltungen, sie können unter Einhaltung eines Schutzkonzeptes ihren Betrieb theoretisch weiterführen, praktisch aber kaum. Eine Umfrage zeigt: Wer mehrere Standbeine hat, den trifft es nicht ganz so hart.
«Wir sind eine kleine Institution mit fünf bis sechs Ausstellungen pro Jahr», so Robert Flückiger aus Kyburg-Buchegg. Der Präsident der Stiftung Schloss Buchegg sagt: «Die ersten drei Ausstellungen des Jahres mussten wir um ein Jahr verschieben. Wir sind dieses Jahr erst im August mit dem Programm undden Veranstaltungen gestartet.» Das sei für das «Schlössli» aber kein grosses Problem. «Bei uns arbeiten alle ehrenamtlich, somit haben wir keine laufenden Löhne auszurichten.» Zudem sei der Betrieb von November bis Ostern immer eingestellt.
Der Grafen-Event im Sommer konnte planmässig durchgeführt werden, so auch die Verleihung des Kultur- und Anerkennungspreises Buchegg. «An diesem Anlass wurden wir kontrolliert», so Flückiger. Zwei Vertreter des Amtes für Wirtschaft hätten das Schutzkonzept vor Ort überprüft. Zu beanstanden gab es glücklicherweise nichts. Generell schwanken die Besucherzahlen bei den Ausstellungen stark, deshalb sei ein direkter Vergleich kaum möglich. «Wir gehen davon aus, dass wir insgesamt weniger Besucherinnen und Besucher hatten.»
Erfreulicherweise wurde dieses Jahr mehr gespendet, was er mit der Coronakrise in Verbindung bringt. Das Programm für 2021 stehe. Wie und wann es aber weitergehe, sei offen und müsse kurzfristig angepasst werden. Die anhaltende Ungewissheit macht ihm zu schaffen.
Weniger Publikum im Näijerehuus
Die Planung des Programms ist das eine, das andere ist das Verhalten des Publikums. «Der Publikumszuspruch ist stark abhängig von den Ausstellenden, es sind oft Freunde und Bekannte der Künstler», so Georg Schmid vom Näijerehuus in Hersiwil (Drei Höfe). In anderen Worten: Wenn die Künstler vom Alter her zur Risikogruppe gehören, dann oft auch ihr Publikum. Und dort sei seit Herbst und mit dem Fortschreiten des Winters eine deutliche Zurückhaltung spürbar. Einen Einbruch der Besucheranzahl hat das Näi- jerehuus in der letzten Ausstellung dieses Jahres erfahren. Die Ausstellung war spärlich besucht, obwohl die Ausstellenden mit ihrem grossen Bekanntenkreis bisher ein zahlreiches Publikum mitgebracht hätten.
Anders das Konzert von Evelyn und Kristina Brunner am ersten Adventssonntag. «Die Musikerinnen haben im Vorfeld angeboten, zweimal zu spielen statt nur einmal. Bei gleichbleibender Gage», so Schmid. Eine schöne Geste. So konnten zweimal 30 Plätze angeboten werden. Und beide Konzerte warenausverkauft. «Die geplante Finissage am 13. Dezember haben wir nicht mehr durchgeführt.» Die verkauften Werke wurden durch die Käuferinnen und Käufer einzeln abgeholt. «Die zwei Ausstellungen, die dieses Jahr ins Wasser gefallen sind, werden wir im kommenden Jahr durchführen», stellt Schmid in Aussicht. Aber auch hier müsse situationsbedingt die genaue Planung warten. Da die Mitarbeit auch im Näijerehuus ehrenamtlich erfolgt, habe es finanziell keine Ausfälle gegeben. Die Einbussen für die Künstlerinnen und Künstler aber seien gross, weiss Schmid.
Hoffen auf Normalität beim Kulturverein Deitingen
Ähnlich tönt es beim Kulturverein Deitingen. Die Situation sei traurig, sagt Co-Präsidentin Caroline Beiner. Da seien einerseits die existenzbedrohendeSituation für die Kunstschaffenden, andererseits die Auswirkungen für das Publikum. Einige der Anlässe mussten verschoben werden. «Das Konzert mit Cornelia Montani haben wir im September mit einer beschränkten Anzahl Plätzen im Kellertheater durchgeführt», erzählt sie. Das Feedback des Publikums war positiv. «Man spürte, wie nährend Musik ist und wie wohltuend sie war.»
In der Jahresplanung wäre der Kulturverein jetzt, mitten im Winter, in einer Phase des Visionierens. «Wir haben uns bisher die Stücke immer live angeschaut, das ist dieses Jahr nicht möglich.» Beiner hofft auf die kommenden Monate. Und sollte es bis im März weiterhin nicht möglich sein,müssten sie sich für die Zusammenstellung des neuen Programms auf ihre Erfahrung verlassen. Digitale Visionierung etwa mit Videos seien aber bei weitem kein Ersatz für das persönliche Erleben von Stücken. «Gerade die Kleinkunst lebt vom Persönlichen, vom Kleinen und Nahen.»
Mit dem Ausfall der diesjährigen Künstlerbörse in Thun, als dem zentralen Ereignis in der Schweizer Kulturszene, sei bereits eine ganz wichtige Treff- und Austauschmöglichkeit weggefallen, bedauert sie. Wenn immer möglich, wolle der Kulturverein an der Aufführung von Christoph Simon am 23. Januar in dem Mehrzweckraum des Schulhauses Zweien festhalten. «Wir haben grundsätzlich ein gemischtes Publikum, und ich gehe davon aus, dass die Leute unter Berücksichtigung der Sicherheitsmassnahmen auch kommen würden», so Beiner. Doch die Sache mit den Prognosen sei schon in einer «normalen» Situation heikel, geschweige denn in dieser Coronazeit.
Was die Finanzen betrifft: «Unsere Mitglieder sind treu», sagt sie. Zudem sei das Budget nicht auf 200, sondern auf 50 bis 70 Personen ausgerichtet. Der Verein wird neben den Mitgliederbeiträgen mit öffentlichen Geldern finanziert, unter anderem vom Lotteriefonds und von der Gemeinde Deitingen. Und wenn weniger
Einnahmen flössen, dann könne er auch mal eine Saison überbrücken. Dass der Verein weitermacht, stehe ausser Frage. Für die Künstlerinnen und Künstler – «und für das Publikum», so Beiner.
«Wir werden überleben, wohl oder übel»
Aufhören ist auch für das P9 in Biberist keine Option. «Wir werden überleben, wohl oder übel», sagt Andre Burkhalter. Sie seien gerade in Kontakt mit dem Kanton zum Thema einer finanziellen Unterstützung. Denn obwohl keine Lohnkosten entstünden, seien doch Fixkosten zu begleichen für Strom und Wasser oder beispielsweise die Miete für das Kreditkartengerät. Auch kleine Posten würden in der Summe zu grösseren Ausgaben führen, die aus dem Ersparten bezahlt werden müssen.
«Die Hiag Immobilien als Vermieterin kommt uns mit einer Mietreduktion entgegen», so Burkhalter. «Zudem vereinfacht es uns im Moment das Leben, dass wir nicht von den Veranstaltungen leben müssen.» Das Kernteam mit seinem Zwillingsbruder Thomas Burkhalter, Andrea Müller und Gabi Burkhalter sei hauptberuflich ausserhalb des P9 tätig. «Weil wir keine Lohnkosten haben, können wir keine Kurzarbeit anmelden. Wir können die Krisenur überleben, weil wir ein Polster aus der Vergangenheit haben.» Sofern die Krise nicht noch ein, zwei Jahre andauere, fügt er an.
Die Fasnacht habe noch stattgefunden, dann sei alles von hundert auf null «komplett eingebrochen, keine Hochzeit, kein Fest, keine Guggenmusik-Party. Unsere Branche war eine der ersten, die die Massnahmen zu spüren bekommen hat. Sie wird eine der letzten sein, die in die Normalität zurückfindet». Es brauche viel Zeit, bis sich die Branche erhole.
Giessi Derendingen trifft es in der Aufbauzeit
Die «Giessi Kultur und Event» in Derendingen hat die Coronakrise in ihrem zweiten Jahr getroffen. «Wir sind noch im Aufbau», sagt Thomas Probst, der hauptberuflich die Kunststoffproduktion Probst AG führt. Seine Existenz baue auf mehreren Standbeinen auf, das habe sich bewährt. Jetzt, während der Pandemie, kommt ihm das zugute. «Viele der diesjährigen Anlässe mussten wir verschieben.» So komme zwar keine Miete rein, aber da sie in der Giessi kein fixes Personal haben – sind auch keine Lohnkosten auszurichten.
Fehlende Perspektive – kein Horizont
Für die Eventtechnik-Firmen steht laut Boris Leisi seit März alles still. «Wir haben einen Branchen-Lockdown», so der Geschäftsführer von VXCO in Deitingen. Abrupt musste der Betrieb komplett heruntergefahren werden. Seither sind die Mitarbeiter in der Kurzarbeit. Unterstützung sei vom Kanton reibungslos und schnell eingetroffen. Für die Inhaber aber gab es bisher kaum etwas. Jetzt ist etwas im Tun. «Uns gibt es 25 Jahre. Wir hatten nie finanzielle Probleme und wir haben bisher eher konservativ gewirtschaftet, das heisst, wir haben geschaut, dass wir immer etwas auf die Seite legen, für schlechte Zeiten.» Diese sind nun angebrochen. Das Schwierigste an der ganzen Krise sei die Aussichtslosigkeit. «Es fehlt eine Perspektive. Die Anlässe wurden abge- sagt, dann wurden sie verschoben. Nun treffen schon Absagen für Herbst 2021 ein, weil man sich die längerfristige Planung bei der herrschenden Unsicherheit nicht leisten kann.» Müsse man einen geplanten Event kurzfristig absagen, so entgelte niemand den entstandenen Planungsaufwand. Seit März sei eine spezifische Nachfrage bei ihnen angestiegen: Anlässe zu streamen. Mit kleinen Aufträgen in diesem Bereich halte sich die VXCO über Wasser. Doch ehrlicherweise seien sie ein Tropfen auf den heissen Stein.
Auch Franco Muscionico, Inhaber der Muscionico GmbH in Zuchwil, sieht dunklen Zeiten entgegen. Die Lage sei miserabel. In seiner Zeltbau-Firma läuft seit März nichts – respektive fast nichts. «Wir haben neuerdings Spitäler, Altersheime und Psychiatrien mit Zelten ausgerüstet. Einerseits für den Covid-Trakt, anderseits als Erweiterung der Kantine, weil sie mit den neuen Abstandsregelungen für die Bewohnerinnen und Bewohner zu klein geworden sind.» Private und Vereine als Kunden seien fast gänzlich weggebrochen. «Wer will schon mit 30 Personen ein Fest feiern?», so Muscionico. Er habe in diesem bisher zentralen Bereich fast 80 Prozent weniger Umsatz. Den Betrieb hat er vor 15 Jahren von seinem Vater übernommen. «Damals sagte man mir, ich müsse keine Angst haben, gefeiert wird immer.» Dass eine Pandemie die Branche komplett lahmlegen würde, hätte er sich nie denken können. Das Gute sei, dass das Material ihm gehöre, immerhin müsse er dafür nicht noch Leasing-Verträge bezahlen. Die Muscionico GmbH mietet für das Material zwei Lagerhallen. Eine der zwei Vermieterinnen habe ihm bereits zwei Monatsmieten erlassen, was eine grosse Hilfe sei. «Jeder Franken zählt.» Das Schlimmste an der Krise sei auch für ihn, «keinen Horizont zu sehen», wie er sagt. «Man kann nichts planen.» Wenn es nächstes Jahr so wei- tergeht, sehe er langsam, aber sicher schwarz.